TRÄUME VON RÄUMEN

 

Ansicht: 2012 Berlin

Material: Fotokopien A3 tapeziert 

Fotos: © Sabrina Schieke

tmb 12 PEREC

Sandra: Was beeindruckt dich an dem Text?

Sabrina: Ich finde den Text von Perec beeindruckend, weil er bei sich und seinen Beobachtungen anfängt. Dann erst geht er raus in die Welt. Es ist als ob man früh die Tür hinter sich zumacht und aus dem Haus geht, in die Straße, das Viertel usw.
Der Autor erklärt sich von vorn bis hinten. Sagt, warum er über bestimmte Dinge nachdenkt. Das macht seine Überlegungen so verständlich und nachvollziehbar. Er schreibt über nichts Besonderes, sondern alltägliche Situationen und Räume, normales Zeug eben, mit dem er umgeht.
Georges Perec zwingt sich mehr zu sehn. Mehr als er sonst gewohnt ist zu sehen. Es scheint mir es gelingt im dadurch, dass sich die Räume ihm nicht mehr aufzwingen. 

Sandra: Weshalb benutzt du eine Schablone und arbeitest nicht mit Handschrift?

Sabrina: Tatsächlich kam mir der Gedanke an Handschrift nie wirklich in den Sinn. Ich hatte das Gefühl, das ich durch das Schreiben mit Hand Autorenschaft verletzen würde und das Transkribieren dann wirklich nur ein Abschreiben wäre. Es machte einfach keinen Sinn für mich so zu tun als ob. Manchmal werde ich darauf angesprochen, ob der Text von mir sei. Ich habe jedoch das Gefühl, das durch die Benutzung der Schablone ein allgemeinerer Zugang ermöglicht wird und es eben nicht das persönliche der Handschrift ist.

 

"DIE WOHNUNG | EIN KLEINES RÄTSEL"

Georges Perec charakterisiert eine Wohnung durch folgendes Paar: „Jede Wohnung besteht aus einer veränderlichen, aber begrenzten Anzahl von Räumen; Jeder Raum hat eine besondere Funktion.“ Bei der Gestaltung sowie der Funktionsbestimmung von Wohnraum besetzt die Architektur eine Schlüsselposition. Die Frage, was Architektur zur Kunst erheben kann oder vom bloßen Bauen unterscheidet, ist für Georges Perec nicht von Belang. Er will nicht diskutieren, wo das Funktionale an einem Bau beginnt oder aufhört. Glaubt man dem vorangestellten Zitat ist die Funktion des Raumes bereits in ihn eingeschrieben. Sodass die Dekonstruktion dieser Architekturen ein gedankliches Experiment bleibt.

„Man kann sich mühelos eine Wohnung vorstellen, deren Anordnung nicht mehr auf den alltäglichen Verrichtungen beruhen würde […]. Man braucht sicherlich ein wenig mehr Phantasie, um sich eine Wohnung vorzustellen, deren Aufteilung auf Sinnesfunktionen begründet wäre […].“

Am Beispiel der Wohnung wird das deutlich, dass die Art und Weise, wie wir die Dinge beschreiben, bestimmt, wie wir über sie denken. Perec konfrontiert den Leser mit der, von uns angenommenen „natürlichen Ordnung“ des Wohnraumes. Auch hier werden die gewohnheitsmäßigen Rezeptionsweisen hinterfragt. Wohnen ist für die meisten etwas Alltägliches. Und das Alltägliche ist bekanntlich banal und dadurch oft zu unbekannt. Durch kleine Rätsel - Irritationen des Blickes, lenkt er die Aufmerksamkeit auf das Banale und Unbekannte z.B. 

„Wenn man in einem gegebenen Zimmer den Platz des Bettes ändert, kann man da sagen, daß man das Zimmer wechselt oder was?“ 

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 Sandra Schieke

 

"TÜREN | TREPPEN | WÄNDE"

Für mich sind Georges Perecs Texte eine dichte Beschreibung von Einzelheiten der uns umgebenden Wirklichkeiten. Die Wirklichkeiten, in denen wir uns bewegen, sind an Personen, Orte und Zeitpunkte geknüpft. Sie (Die Wirklichkeiten) sind persönliche Wirklichkeiten - Alltäglichkeiten. Aber sehen wir diese im täglichen Leben - Alltag noch?
Verengt uns die Organisation unserer Lebensbasis nicht den Blick dafür? Eine minutiöse Beschreibung dieser Fragestellung, d.h. der Wahrnehmung der Orte an denen wir uns befinden und der Zeiten in denen wir agieren, findet sich in Georges Perec Werk Träume von Räumen.

„Leben heißt, von einem Raum zum anderen gehen.“

Die Wohnung, das Mietshaus, die Straße sind Orte, die wir jeden Tag durchqueren, n bestimmten Reihenfolgen nach bestimmten Zwecken gestaffelt. Im allgemeinen würde Mensch sagen, wir bewohnen diese Orte. Ich bewohne. Ich bereite mich in meiner Wohnung auf den Tag vor. Ich wasche mein Gesicht. Ich ordne die Kleidung und kämme das Haar. Ich trete in den Flur des Mietshauses, binde meine Schuhe, trete auf die Straße und eile durch die Stadt.

„Man hat noch nichts betrachtet, man hat nur das bemerkt, was man seit langem schon bemerkt hatte.“

Diese Gewohnheiten (das Bewohnen), welche an der vorgegebenen „natürlichen Ordnung“ des Raumes keinen Zweifel aufkommen lassen, hinterfragt Perec. „... einen Weg finden, bei dem man Paris […] durchqueren kann und dabei nur durch Straßen kommt, die mit dem Buchstaben C anfangen.“ 

Also nicht gewohnheitsmäßig durch die Stadt eilen, sondern neue Gewohnheiten in Gedanken durchspielen. Natürlich haben auch diese eine Systematik. Das gehen auf Straßen die mit dem Buchstaben C beginnen, ist systematisch. Aber sie eröffnen demjenigen, der sich auf dieses Gedankenspiel einlässt, neue Perspektiven und neue (Lebens-)Räume.
Diese Perspektive oder dieser Raum kann auch mit einem leeren Blatt Papier beginnen. Dass „durchqueren“, das physische oder gedankliche Gehen (beweglich sein), wird Synonym mit der Kulturtechnik des Schreibens. Wird nicht auch hier, durch das Festhalten von Ideen mittels Zeichen der Raum abgesteckt? Ich würde sagen Ja! Denn alle aufgezählten Techniken dienen mir dazu, mich im Raum zu orientieren, in ihm zu leben und zu Handeln. So hat es Perec vollbracht, zumindest meine Wahrnehmung auf den Stadt- und Wohnraum zu verändern. Weg von Gegebenheiten hin zu der
„Wahrnehmung [...] einer Geografie, von der wir vergessen haben, dass wir ihr Schöpfer sind.“

 *

 Sandra Schieke

 

 TRÄUME VON RÄUMEN # 2

 

Ausstellungsansicht: 2012 Berlin "KUNST BAUCHT FLÄCHE" Bernauer Straße am Mauerpark

Material: Fotokopien A3 plakatiert

Maße: variabel

Fotos: © Alex Ferrate & Sandra Schieke

 
 

TRÄUME VON RÄUMEN # 3

 

Ausstellungsandsicht: 2012 Berlin Carré am Alexandreplatz "TRÄUME VON RÄUMEN", Projektraum S-C-H-N-E-E-E-U-L-E

Material: Fotokopien A3 aufgeklebt

Maße: variabel

Fotos: © Sandra Schieke & Sabrina Schieke

 WEITERE INFORMATIONEN: S-C-H-N-E-E-E-U-L-E